Modulares Bauen: In Deutschland noch immer vor der Serienreife

Der Wohnungsbau in Deutschland muss schneller werden. Im November 2023 haben sich Bund und LĂ€nder deshalb auf einen „Pakt fĂŒr Planungs-, Genehmigungs- und Umsetzungsbeschleunigung“ geeinigt, den sogenannten Beschleunigungspakt. Eines seiner Hauptziele: Die LĂ€nder sollen harmonisierte Typengenehmigungen in die jeweiligen Landesbauordnungen aufnehmen, um die Genehmigungsprozesse örtlicher Bauvorhaben zu vereinfachen und zu beschleunigen. Die Umsetzung des Beschleunigungspaktes könnte auch den Durchbruch fĂŒr das modulare Bauen bedeuten.

Denn GebĂ€ude mit hohem Vorfertigungsgrad mĂŒssten dann nicht mehr an 16 verschiedene Landesbauordnungen angepasst werden und eine industrielle Produktion von Typenbauten wĂ€re möglich. Über den aktuellen Stand von Regulierung und Praxis informierten George Salden, CEO der Capital Bay Group; Andreas Göbel, Head of Acquisition bei Daiwa House Modular Europe und Kassem Taher Saleh, MdB, Bundestagsfraktion BĂŒndnis 90 / Die GrĂŒnen und Obmann im Ausschuss fĂŒr Wohnen, Stadtentwicklung, Bauwesen und Kommunen bei einer gestrigen Presseveranstaltung.

Kassem Taher Saleh ist Bauingenieur und berichtet aus der Praxis des Bauens und der Gesetzgebung: „Als Bauleiter habe ich hautnah erlebt, wie durch unterschiedliche Bauvorschriften in den BundeslĂ€ndern Fortschritt ausgebremst wurde. Mit der Angleichung der Landesbauordnungen feiert das serienmĂ€ĂŸige Bauen endlich Richtfest. Aus eigener Erfahrung, selbst zwischen Plattenbauten in Ostdeutschland aufgewachsen, kann ich sagen: Serielles Bauen von heute ist nicht verstaubt, sondern Ă€sthetisch, ökologisch und kostengĂŒnstig.“

Entsprechend sieht sich auch George Salden als entscheidendes Element fĂŒr die Beschleunigung des Wohnungsbaus in Deutschland. „Um schnell bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, benötigen wir den industriellen Typenbau“, sagt George Salden. „Genehmigungstechnisch befinden wir uns in Deutschland momentan jedoch genau auf dem entgegengesetzten Ende des zu beschreitenden Weges. Modulbauten gelten als Sonderbauten und durchlaufen einen noch komplexeren Genehmigungsprozess, als er ohnehin schon fĂŒr Deutschland ĂŒblich ist. Das ist, als mĂŒsste ein Auto in jeder Stadt, die es durchfahren sollen darf, extra zugelassen werden.“

Modulbauten können laut Salden rund 50 Prozent schneller und 20 Prozent gĂŒnstiger errichtet werden als traditionelle GebĂ€ude. Zudem wĂŒrden sie „mit Festpreisgarantie“ gebaut, was den Modulbau auch fĂŒr Investoren attraktiv mache. Wichtig sei jedoch, dass man in Deutschland wegkĂ€me von dem Denken in Quadratmeter-Mietpreisen, so wie es in vielen anderen LĂ€ndern bereits der Fall sei. Stattdessen mĂŒssten wir den „All-In“-Gedanken kultivieren und uns davon lösen, dass der Wohnraum an der HaustĂŒr aufhöre: „Wir mĂŒssen HĂ€user und Wohnungen neu denken. Die Frage ist: Brauchen die Menschen ein Wohnzimmer, wenn sie großzĂŒgige GemeinschaftsflĂ€chen haben? Brauchen sie eine Waschmaschine, wenn es im Haus einen Waschraum fĂŒr die WĂ€sche gibt? Brauchen sie StellflĂ€che fĂŒr den Hometrainer, wenn das Gym nur ein paar Stockwerke entfernt ist? Ein Arbeitszimmer, wenn es Co-Working-FlĂ€chen gibt? Vieles, von dem was wir heute bauen, ist nicht wirklich funktional und schon gar nicht effektiv und das sollten wir jetzt Ă€ndern“, erklĂ€rt Salden und fĂŒgt hinzu: „Wir denken unsere Wohnungen funktional, so Ă€hnlich wie ein Schweizer Taschenmesser. Eine Familienwohnung lĂ€sst sich damit auf 65 Quadratmetern realisieren, ein Single-Apartment auf 20 bis 25 Quadratmetern.“

Ein weiterer Vorteil des modularen Bauens: Es macht „Immobilen“ zu etwas „Mobilem“: „Das Modulare Bauen bietet die Chance, das Wohnungsangebot den Anforderungen des wirtschaftlichen und demografischen Wandels anzupassen. Modular errichtete Wohnungen sind mobiler als HĂ€user, die auf der Baustelle zusammengesetzt werden.“ Das habe auch erhebliche Vorteile fĂŒr den Industriestandort Deutschland: „Wird eine Fabrik neu gegrĂŒndet, können Modulbauten schneller am Standort errichtet werden. Werden Werke geschlossen, können die Wohnungen abgestapelt und bei Bedarf anderswo wieder aufgebaut werden. Man kann sagen, modulare Wohnungen lösen den Widerspruch auf, in dem unsere immobilen HĂ€user zum dynamischen Leben und zur modernen Produktionsweise stehen“, so Salden.

Der Modulbau ist zudem deutlich umweltschonender als der traditionelle Bau, wie das japanisch-niederlĂ€ndische Unternehmen Daiwa House zeigt. Das Unternehmen ist laut eigener Aussage der siebtgrĂ¶ĂŸte Baukonzern weltweit und der grĂ¶ĂŸte Anbieter modularer WohngebĂ€ude. Daiwa Haus denkt im Kreislauf und revolutioniert die Baubranche. „Wir nehmen ganze WohngebĂ€ude nach vielen Jahrzehnten zurĂŒck, um daraus wieder Neues zu bauen. Cradle to Cradle auf der Schulter des Herstellers“, sagt Andreas Göbel, Head of Acquisition bei Daiwa House Modular Europe. Auch die Fertigung selbst sei vergleichsweise klimaschonend: „Wir bauen schon jetzt mit 50 Prozent weniger CO2-Emissionen als bei konventionellem Bauen.“ Das standardisierte Bauen in der Fabrik mache das möglich.

Derzeit stellt Daiwa House östlich von Berlin seine neue Fabrik fĂŒr Module auf aktiv. In den Hallen sollen schon bald 2.500 ganze RĂ€ume oder Raumteile pro Jahr entstehen. Nach Unternehmensangaben soll die KapazitĂ€t dann sukzessive auf 15.000 bis 20.000 StĂŒck steigen. Das Unternehmen hat bereits einen Großauftrag fĂŒr ein ganzes Quartier der landeseigenen Gewobag in Berlin ĂŒbernommen: Im Berliner Bezirk Lichtenberg sollen aus 3.000 Modulen mehr als 1.500 Wohnungen entstehen. Weitere WohngebĂ€ude sind geplant in DĂŒsseldorf, Magdeburg und Dortmund. Besonders hoch hinaus solle es in Hamburg gehen. Dort plant Daiwa House ein Hotel mit 19 Stockwerken. In Bochum hat Daiwa House mit dem „Community Campus“ schon Europas höchstes GebĂ€ude in modularer Bauweise errichtet: zwölf Geschosse hat das GebĂ€ude mit 737 Apartments.

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